Die Gedanken haben wir uns umsonst gemacht. Pünktlich auf die Minute steht er vor unserer Zimmertür, die graue Eminenz von Aitutaki und Eigentümer des Hauses, in dem wir die nächsten Tage verbringen werden. Umgänglich und lustig ist er, umarmt uns zur Begrüßung und kennt unsere Namen. Der Kontakt kam über Freunde zustande und bis auf drei Emails, die Wochen und zum Teil Monate zurückliegen, kennen wir uns noch nicht.
Das ändert sich schnell, wir haben uns einiges zu erzählen, und als er hört, daß dies schon unsere dritte einsame Insel ist, ist er hoch erfreut, denn, wie er erzählt, gab es in der Vergangenheit auch unschöne Erfahrungen mit Leuten, die sich wohl mehr Komfort vorgestellt hatten. Wir hingegen glauben, daß uns von all unseren Inselabenteuern hier schon die komfortabelste Variante erwartet.
Vor der Überfahrt setzt er uns an dem nach seiner Meinung bestsortierten Supermarkt Aitutakis ab. Wir sind erstaunt, mit dem Angebot auf Moorea ist das hier nicht zu vergleichen, aber das, was wir auf anderen Inseln in Tonga oder Französisch Polynesien schon gesehen bzw. eben nicht gesehen haben, schlägt es um Längen. Es gibt eine ausreichende Auswahl an Getränken, Obst, Gemüse und sogar Kartoffeln! Das erste Mal, daß wir auf einem Motu Kartoffeln haben werden, und nicht, wie sonst, nur Reis und Nudeln. Das wird ein Hochgenuß!
Beim Beladen des Bootes dürfen wir noch helfen, aber als es zu Wasser gelassen wird, sind wir Zaungäste. Und dann geht es hinaus in die türkisblaue Lagune, die wir gestern schon vom Strand aus angestaunt haben. Vorbei an zum Teil sehr großen Motus wie Akaiami, auf dem früher die Flugzeuge der Coral Line aufgetankt wurden.
Und dann um die letzte Kurve und da liegt es vor uns, das Motu mit dem seltsamen Namen: One Foot Island.
https://www.youtube.com/watch?v=ENBhukr ... rt_radio=1
Das Haus ist halb versteckt hinter Palmen und grün gestrichen, was es noch besser in der Vegetation verbirgt.
Wir kennen natürlich die Bilder, von außen als auch von innen, aber jetzt selbst hinein zu dürfen ist natürlich schon nochmal aufregender.
Wir schleppen unser Gepäck und die Vorräte vom Boot durchs flache Wasser auf die Veranda und gucken uns gespannt um.
Das Haus selbst ist uns sofort sympatisch. Unten befindet sich neben Bad und Dusche
auch die Küche und Herd.
Alle Wasseranschlüsse werden einfach durch Gefälle aus einem „Wasserturm“ auf Stelzen gespeist.
Einen Stromanschluß gibt es nicht. In der Küche entdecken wir irgendwann Lüsterklemmen, an denen die Eigentümer sich vermutlich eine Autobatterie anschließen, wenn sie das Haus selbst nutzen. Einen Kühlschrank gibt es daher auch nicht, dafür haben wir eine Kühlkiste, wie Fischer sie benutzen, gefüllt mit Eisbomben aus gefrorenen Wasserflaschen, die tatsächlich erst kurz vor der Abreise zu tauen beginnen.
Ins Schlafzimmer im Obergeschoß kommt man über eine steile Stiege. Nachdem wir alle Fensterläden geöffnet haben, befindet man sich in einem lichtdurchfluteten Raum, der so liebevoll eingerichtet ist, daß man sofort merkt, daß die Eigentümer hier gelegentlich auch selbst Zeit verbringen und sich das nach ihrem Geschmack dekoriert haben.
Auch die Häuser auf „unseren“ anderen Inseln mochten wir, sehr sogar, aber wo diese meist eher schlicht und zweckmäßig waren, ist hier sofort zu sehen, daß jemand mit viel Freude an schönen Dingen am Werk war.
Ob wir mit dem „simple space“ zufrieden seien, werden wir gefragt. Wir müssen fast lachen. Das alles ist für uns Luxus pur. Und wäre das Haus primitiver, wäre es auch egal, denn allein der Blick über die Lagune, der oben vom Balkon vor dem Schlafzimmer nochmal ein viel besserer ist als unten vorm Haus, das ist unbezahlbar.
Abgesehen von den Tagesausflüglern, die täglich nach One Foot kommen, werden wir nur Hühner als Nachbarn haben. Das Krähen der Hähne, die sich in Erwartung von Futter natürlich alle gern in der Nähe des Hauses aufhalten, kann ein bißchen nerven, aber besser als eine Inselkatze, die man daran hindern muß, nachts ins Haus zu kommen, wie auf Motu Rani. Ach ja, stimmt, fällt es ihm ein, eine Katze habe es hier auch mal gegeben, er sei sich aber nicht sicher, ob die noch da sei.
Wir fragen uns ohnehin, wie die Tiere hier, wo es ja außer nach Regenfällen kein Süßwasser gibt, überleben, schon die Hühner, aber eine Katze erst recht.
Und während ich so darüber nachdenke, fällt es mir auf einmal wie Schuppen aus den Haaren, was mir an Aitutaki gestern so anders vorkam: Es gibt keine streunenden Hunde. Es gibt überhaupt keine Hunde auf Aitutaki, denn Hunde sind auf Aitutaki verboten! Offenbar wußte das jeder außer mir, auch der Mister, und im Reiseführer muß ich es wohl gepflegt überlesen haben.
Der Ursprung des Verbots ist nicht ganz eindeutig, läßt sich aber auf eine Legende zurückführen, nach der irgendwann in grauer Vorzeit eine Inselprinzessin von einem Hund gebissen wurde.
Egal wie die Gründe auch sein mögen, für alle diejenigen, und ich weiß, daß das nicht wenige sind, denen der Anblick klapperdürrer Streuner mit traurigen Augen den Urlaub verdirbt, ist Aitutaki also das perfekte Reiseziel.
Dann werden wir allein gelassen und stehen am Ufer und winken dem Boot hinterher. Das ersehnte Einsamkeitsgefühl macht sich breit, aber das hat zunächst nur kurze Dauer. Während unser Transferboot davon fährt, kommt schon bald das erste Boot mit Tagesgästen um die Ecke, und wenig später auch der große Katamaran des Platzhirsches unter den hiesigen Lagunentouren-Anbietern, Bishop’s Cruises.
Wir werden uns daran gewöhnen. Und wie alles hat auch dies seine zwei Seiten. Denn in den Morgen- und späten Nachmittagsstunden, bevor und nachdem die Tagesgäste da sind, werden wir das Gefühl, die alleinigen Herrscher über One Foot zu sein, besonders genießen. Überhaupt erinnert uns die Situation ein kleines bißchen an Helgoland, wo sich unsere längeren Aufenthalte auch immer ein bißchen danach gerichtet haben, wann die Börteboote wegfuhren, und man sich umso mehr freute, jetzt fast ganz allein auf dem Oberland zu sein. Und es wird am Ende noch eine Situation kommen, in der wir froh sein werden, Bishop’s auf der Insel zu haben.
Das Leben hier ist durch die Ankunfts- und Abfahrtszeiten der Boote dennoch ein wenig zeitgebunden. Wo wir sonst nach Sonnenstand und Gezeiten gelebt haben, haben wir hier zumindest morgens die Uhr im Blick. Und weil es im Haus keine gibt, muß man sich eben zu helfen wissen.
Nachdem wir ausgepackt und uns eingerichtet haben, finden wir uns beide auf dem Balkon wieder. Die Hängematte störte die Aussicht, daher binden wir sie hoch, aber dann ist der Ausblick unglaublich. Man kann sich nicht sattsehen.
Dank der Kühlkiste konnten wir diesmal erstmalig frische Milchprodukte mitnehmen, die müssen natürlich als erstes weg. Abends gibt es daher etwas schnell Zusammengeworfenes mit Quark und Gemüse, bis dahin sind auch die Tagesgäste weg und der Sonnenuntergang über der Lagune von Aitutaki ist nur für uns.
